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Im öffentlichen Verkehr findet sich Werbung überall. Jedes Jahr scheinen die Stockholmer Verkehrsbetriebe (SL) neue Werbeflächen zu finden. Öffentliche Räume sind so voll von Werbung, dass wir uns kaum vorstellen können, wie sie ohne Werbung aussehen würden. Die Idee eines werbefreien öffentlichen Verkehrs scheint ausgeflippt und utopisch. Die SL-Leitung nimmt sie nicht ernst. Warum ist das so? Warum verkaufen wir das Recht, unsere öffentliche Räume zu gestalten, an diejenigen, die am meisten zu zahlen bereit sind?
Wir wollen klarstellen, dass eine Kritik an der Werbung im öffentlichen Raum nichts mit einer moralisierenden Infragestellung menschlicher Konsumgewohnheiten zu tun hat. Sie hat auch nichts mit dem naiven Glauben zu tun, dass wir die Gesellschaft verändern können, indem wir nicht mehr einkaufen gehen oder uns keine Reklamfilme mehr ansehen. Es geht vielmehr um etwas sehr Einfaches und Grundlegendes, nämlich um die demokratische Kontrolle der Räume, die wir gemeinsam benutzen. Das bedeutet im Falle des öffentlichen Verkehrs beispielsweise, Passagieren keine Werbung aufzudrängen, um die sie nicht gebeten haben.
Freunde des Status Quo sagen jetzt sicher: ”Aber denkt doch daran, wie viel Geld SL aufgrund der Werbung einnimmt!” Daran haben wir natürlich gedacht, aber die Sache ist die: um so viel Geld handelt es sich gar nicht. Wenn wir uns die Ziffern ansehen, die SL für das Jahr 2008 veröffentlicht hat (die Ziffern für das Jahr 2009 sind noch nicht erschienen), so beliefen sich die Einnahmen aus dem Verkauf von Werbeflächen auf 186 Millionen Kronen. Die Gesamtkosten von SL beliefen sich auf 10784 Millionen Kronen. Demnach konnten mit den Werbeeinnahmen gerade einmal 1,7% der Gesamtkosten gedeckt werden.
So machen wir den öffentlichen Verkehr werbefrei
Es gibt vier Möglichkeiten, den öffentlichen Verkehr werbefrei zu machen, ohne auf irgendetwas verzichten zu müssen: zwei recht schlechte, eine gute und eine ausgezeichnete.
Die erste ist, die Fahrkartenpreise zu erhöhen. Die SL-Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf im Jahr 2008 beliefen sich auf 5099 Millionen Kronen. Die Werbeeinnahmen entsprechen also einer Erhöhung der Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf um 3,6 Prozent. Eine Monatskarte, die jetzt 690 Kronen kostet, müsste demnach 25 Kronen mehr kosten.
Die zweite Möglichkeit ist, die Kommunalsteuer um etwa 5‰ zu erhöhen. Für Menschen mit einem Monatseinkommen von 20.000 Kronen würde das eine Steuererhöhung von 10 Kronen im Monat bedeuten.
Die dritte Möglichkeit ist, die Sperren im öffentlichen Verkehr abzuschaffen. Damit würde SL mindestens 225 Millionen Kronen im Jahr sparen. Das würde nicht nur Werbefreiheit bedeuten, sondern außerdem 40 Millionen Kronen für weitere Verbesserungen im öffentlichen Verkehr zur Verfügung stellen.
Die vierte und beste Möglichkeit ist, die Fahrkarten abzuschaffen. Mit einem rein steuerfinanzierten öffentlichen Verkehr würde SL mindestens 390 Millionen Kronen im Jahr sparen, weil die aufwendigen Sperr- und Fahrkartensysteme nicht mehr erhalten werden müssen. Ein öffentlicher, steuerfinanzierter Verkehr ohne Sperren und Fahrkarten würde also 200 Millionen Kronen extra für den Betrieb und die Instandhaltung des öffentlichen Verkehrs schaffen.
Worin liegt das politische Interesse an der Werbung im öffentlichen Verkehr?
Nachdem die Werbung offensichtlich keine große Einkommensquelle für SL ist, müssen wir uns die Frage stellen, warum es sie im öffentlichen Verkehr überhaupt gibt. Dessen Attraktivität wird dadurch kaum gesteigert, eher entsteht das Ambiente eines billigen Einkaufszentrums.
Ein Grund, warum die SL-Leitung nicht einmal über die Rolle der Werbung im öffentlichen Verkehr nachdenkt (außer natürlich, wenn es darum geht, sie auszudehnen), mag darin liegen, dass sie alten Denkmustern verhaftet ist. Nachdem es die Werbung im öffentlichen Verkehr seit langem gibt, muss sie wohl irgendeine positive Funktion erfüllen. Wie gesagt: beim Gedanken an einen werbefreien öffentlichen Verkehr kann einem durchaus schwindlig werden!
Aber diese Erklärung kann nicht die einzige sein. Vielmehr wird der öffentliche Verkehr auch als fantastischer Werberaum angesehen – zumindest von Johan Damström, dem SL-Werbebeauftragten:
”Dieser Raum ist für Werbung perfekt. An einer Zeitungsannonce kannst du vorbeiblättern und bei einem Werbespot im Fernsehen kannst du umschalten. Aber wenn du eine Rolltreppe zur U-Bahn hinunterfährst, hast du wenig anderes zu tun, als dich umzusehen – und da siehst du Werbung!”
Hier haben wir also einen weiteren Grund für die Werbung im öffentlichen Verkehr: es handelt sich um eine Goldgrube für Unternehmen und die Politik reagiert entsprechend. Das Wohl der Passagiere ist offenbar nicht die Priorität der Verantwortlichen.
Das Zitat von Johan Damström illustriert eines der größten Probleme, was Werbung im öffentlichen Verkehr angeht: sie wird uns dort aufgezwungen; sie belästigt unsere Sinne, ohne dass wir umblättern oder den Sender wechseln können.
Viele Menschen verbringen einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit im öffentlichen Verkehr. Das sollte respektiert werden. Der öffentliche Verkehr sollte nicht nur bequem, kostenlos, gut ausgebaut und regelmäßig, sondern auch ästhetisch ansprechend sein. Der frühere Stockholmer Finanzminister Hjalmar Mehr hat das folgendermaßen ausgedrückt:
”Wir wollen ein Fest haben. Freude und Farbe in der U-Bahn! Es handelt sich um das tägliche Fortbewegungsmittel des einfachen Menschen. Jede Haltestelle ein Märchenschloss!”
Wir würden einen ausgesprochen kleinen Preis dafür zahlen, die Werbung loszuwerden – stattdessen bezahlen wir einen ausgesprochen hohen Preis dafür, sie zu behalten.